Wein und Politik
Zurück in Mzcheta entdecken wir eine Art Café in einem idyllischen
Garten mit alten Obstbäumen, in der Mitte ein Brunnen und an der rechten
Seite kleine Hütten aus Geflecht mit je einem Tisch drin. Gemütlich und schattig speist man in einer der Hütten und wagt sich nach
Fleisch und Auberginen mit Nusspaste an den ersten hausgemachten
Weißwein – zunächst gar nicht als Wein aus Trauben identifiziert, da
trüb und fruchtig. Nach kurzer Zeit kommt ein russisches Pärchen in den
Garten, sie sind auf einem Kurztrip aus Moskau, und völlig begeistert
loben und preisen sie Georgien, den Wein, den selbstgemachten Saft.
Als
wir uns aus unserer Hütte wagen, eigentlich um zu gehen, laden sie uns
zu einer kleinen Weinprobe ein. Es ergibt sich ein sehr nettes Gespräch,
hauptsächlich auf englisch, ab und zu ergänzt von launigen Geschichten
eines zahnlosen alten Mannes, der u.a. behauptet, er habe sechs Frauen
gehabt ... Politisches erfahren wir am Rande auch: Für den Krieg (2008
um Südossetien) bzw. den andauernden Konflikt mit Russland interessiere
sich keiner, so die Georgier. Saakaschwili fänden aber alle gut, da er –
anscheinend erfolgreich – die Korruption bekämpfe und allgemein für
Ordnung sorge. Wirtschaftlich scheint er auch zu punkten. A. trinkt und
lobpreist sich in einen gehörigen Rausch, ist äußerst unterhaltsam,
wiewohl ständig von seiner Freundin ermahnt, weniger zu trinken und
„endlich englisch“ zu lernen. Nachdem die Russen sich überschwänglichst
verabschiedet haben, brechen wir schließlich gemeinsam mit dem Taxi,
d.h. mit dem Nachbarn der Wirtin, nach Tbilisi auf.
Völkerfreundschaft


Völkerfreundschaft
„Früher gab es bei uns Völkerfreundschaft. Usbeken, Tadschiken und Aserbaidschaner waren in aller Munde, sogar Osseten. Armenier gab es noch speziell, der Witze wegen. Und Juden natürlich. Tschetschenen gab es, wie mir scheint, noch nicht. Es gab Gerüchte über die vertriebenen Tschetscheno-Inguschen (wie über die Krimtartaren). Aber nur die Georgier haben wir speziell geliebt, ohne Völkerfreundschaft. [...] Heute kommt mir der Verdacht, wir hätten sie dafür geliebt, daß sie keine Russen sind. Nicht wir. Aber wie wir. Aber besser als wir...“ (S. 7)
Andrej Bitow, Georgisches Album. Auf der Suche nach Heimat. Suhrkamp: Frankfurt/M. 2003, S. 7