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Sonntag, 19. Februar 2012

(23) Das Gastmahl

Souvenirs: Trinkhörner und -schalen
Auf der Suche nach einem Restaurant jenseits der Strandpromenade betreten wir ein ausschließlich georgisch beschriftetes Haus, das sehr vielversprechend aussieht: in der Mitte gegenüber dem Eingang eine Bar, an den Seiten rund um eine Treppe und einen offenen Mittelpunkt mit Parkettboden große Tische aus Holz, oben eine Galerie mit Separées, die je einen großen Tisch haben. Wir werden neben dem Eingang platziert, was viel Wind vom – wie immer – offenen Fenster, aber auch einen guten Überblick bietet. Uns gegenüber eine große Tischgesellschaft, nur Männer, mit einem Vorsitzenden, der von Zeit zu Zeit aufsteht und Trinksprüche ausbringt, auf die je ein anderer aus der Runde antwortet. Offenbar eine georgische Tafel, eine Supra, die in Form eines Rituals abläuft. Manchmal animiert der Vorsitzende, der Tamada, die Runde auch zum Singen. Dazu steigen einmal sogar alle etwa 12 Männer auf ihre Stühle. Kellnerinnen und andere Gäste, alle außer uns Georgier, nehmen kaum Notiz von dem ganzen Geschehen. Für uns das beste Theater, das überhaupt geboten werden kann! Wir bestellen Chinkali (große, verschieden gefüllte Teigtaschen), Auberginen mit Nusspaste, – versehentlich – geschmorte Leber und einen Krug Weißwein. Aufgrund des Schauspiels gegenüber kommen wir kaum zum Essen, und alles ist mal wieder viel zuviel – so z.B. 10 Chinkali als Mindestmenge ... Georgien: kein Land für Diäten. Die Supra läuft zwar ritualisiert ab, mit Gesängen und vom Tamada initialisierten oder genehmigten Trinksprüchen, aber es kommt auch immer mal wieder jemand dazu, Handys klingeln, jemand läuft raus, um zu telefonieren, unterhält sich mit anderen Gästen usw. Plötzlich, unser Weinkrug ist noch gut gefüllt, werden uns zwei Gläser Rotwein gebracht mit dem Hinweis, diese kämen vom Tamada. Wir bedanken uns verwundert bei der Kellnerin, aber Versuche, Blickkontakt mit der Männertafel aufzunehmen, scheitern. Sie machen weiter, ohne uns besonders zu beachten, was den Theatralitätseffekt weiter steigert. Dann stellt die Kellnerin zwei Teller mit Messern und Gabeln vor uns – großes Erschrecken: Haben wir aus Versehen mehr als eine Portion Chinkali bestellt? Dann wird ein Krug mit goldgelbem Weißwein angeliefert, der offenbar wieder von der Supra kommt. Eine riesige Torte wird angeschnitten – ein Geburtstag? Nach einiger Zeit bekommen wir davon je ein Stück auf unsere bis dahin rätselhaften Teller ... Mein Gott, wie soll man sich jetzt bedanken? Wieder scheitert der Versuch, Blickkontakt zur Tafel aufzunehmen. Die Männer reden, singen, trinken und lachen, ohne besondere Notiz von uns zu nehmen. Dabei natürlich im vollen Bewusstsein, von uns aufs Genauste beobachtet zu werden. Schauspieler! Wunderbar! Da man nicht weiß, was noch alles kommen wird, beschließen wir, aus Höflichkeit ein Glas vom geschenkten Krug zu trinken, uns dann mit angemessenem Dank, irgendwie auf russisch, zu verabschieden. Bezahlt haben wir schon. Natürlich kommen wir aber nicht weg! Aus sprachlichen Gründen übernehme ich die Dankesworte, natürlich zum Tamada, den auch alle immer mit diesem Titel angesprochen haben. So gibt es kein Zurück mehr, überschwänglich begrüßt werden wir in die Tafel integriert. Nach diversen Trinksprüchen auf uns bekommt R. die Trinkschale gereicht und bringt seinerseits einen Toast aus – auf deutsch, das Ganze übersetzt von einem leidlich deutsch Sprechenden in der Runde. So geht es immer weiter, nur ich muss nicht aus der kreisenden Schale trinken, bekomme stattdessen Rotwein, ungezählte Gläser. Mit einem davon habe ich schließlich die Ehre, einen Trinkspruch auszubringen, ein Loblied auf Georgien, das zwar nicht mehr übersetzt wird, aber gleichwohl großen Jubel hervorruft ... Wir halten bis zur offiziellen Auflösung der Tafel seitens des Tamada durch. Danach löst sich die Gesellschaft auf, allgemeines Abschiednehmen. Der Tamada ist nicht zu stoppen und will noch tanzen, was wir aber höflich ablehnen und so einen einigermaßen eleganten Absprung schaffen.