Seiten

Sonntag, 19. Februar 2012

(i) Vorweg

Kaukasische Reise – Durch Georgien bis nach Jerewan und in die Türkei

Erst jetzt, mitten im Berliner Schneegestöber, komme ich dazu, von einer Reise durch den Südkausus zu berichten, die ich im Juni 2011 mit meinem Freund unternommen habe. Nach einer Reise durch den Osten der Türkei (von Gaziantep in einem nordöstlichen Bogen bis nach Trabzon), wollten wir wissen, was sich auf der anderen Seite des Ararat verbirgt. Das führte uns ein Jahr später in die armenische Hauptstadt, allerdings von Georgien aus, wo der Schwerpunkt der Reise lag. Der Abstecher nach Armenien war also kurz, die Eindrücke entsprechend knapp.

Die Anreise von Berlin über Riga nach Tbilisi wird nicht geschildert, ebenso wenig die Rückreise von Trabzon über Istanbul nach Berlin. Man sitzt halt auf Flughäfen rum. – Erwähnenswert ist vielleicht, dass der Flughafen in Riga sehr stylish ist und mit viel Holz und Glas aussieht wie eine luxuriöse Wellnessoase im finnischen (?) Stil. Durch die großen Glasscheiben kann man beobachten, dass die Sonne im Juni nicht wirklich untergeht. Im Flughafen von Trabzon gibt es bessere Fantrikots als in der Stadt. Und in Istanbul Sabiha sollte man nicht zu MacDo gehen ... – Los geht es also in Tbilisi, von da nach Mzcheta, dann nach Kachetien, das georgische Weinland, nach Signagi und Telawi, zurück nach Tbilisi und von da nach Kasbegi, wieder nach Tbilisi, von dort nach Jerewan und nach kurzen drei Tagen wieder nach Georgien, nach Batumi, ans Schwarze Meer und dann, die Küste entlang in Richtung Westen, nach Trabzon.

Die folgende Beschreibung, die auf meinem Notizbuch basiert, ist selbstredend radikal subjektiv. Zur besseren Übersicht sind alle zusammengehörenden Posts, zusätzlich zum Label, mit einer Nummerierung versehen. Zum Überblick gibt es unter (ii) eine Karte.

Georgien – Land der Buchstaben
Schwierig ist eine vollkommen korrekte Umschrift der georgischen Buchstaben. Ich habe mich damit nicht detalliert beschäftigt. Da ich selbst auf deutsch schreibe, habe ich versucht, mich eher an der deutschen Aussprache zu orientieren.

Berlin, Anfang Februar 2012

(1) Rasende Ankunft in Tbilisi

Nach einem kurzen Zwischenstopp in Riga Ankunft in Tbilisi um 4.30 Uhr. Zwischen Flughafen und Stadt liegt jetzt nur noch eine wahrhaft höllische Taxifahrt: Mit 160 rast der Fahrer über die holprige Schnellstraße namens George Bush-Boulevard (!). Dieser endet in einem U-Turn, wo der Chauffeur auf 0 abbremst, was Anlass zu denken gibt: jetzt ists geschafft, aber nein, er rast weiter in die Stadt. Ist das ein Rennen, haben die sich am Flughafen verabredet? Ein Nahtoderlebnis jagt das nächste – so erreicht man den Rustaweli Prospekt, während der Fahrer sich alle 100 Meter auf orthodoxe Weise, also dreimal hintereinander, bekreuzigt. Würde ihm gern sagen, dass das Leben nach dem Tod allgemein überschätzt wird und mir das davor im Moment völlig ausreicht. Aber er ist weder im Fahrstil noch im Bekreuzigen zu stoppen. Später erfahren wir: Der Bekreuzigungsvorgang ist hier Usus, wenn man an einer Kirche oder sonstigen heiligen Stätte vorbeikommt – egal, wo und wie schnell man gerade vorbeirast!

Im Hostel werden wir freundlichst begrüßt vom Rezeptionisten, einem jungen Tänzer. Wenig nüchtern, dafür sehr redselig und kontaktfreudig, erklärt er, dass man in Georgien mit einem Glas willkommen geheißen wird. So stehen wir morgens um halb 6 in der Küche einer zum Hostel umfunktionierten Gründerzeitwohnung mit einem Glas süßem georgischen Rotwein in der Hand. Zum Glück gibt es dann noch Kaffee auf dem Balkon mit schönster Aussicht auf den Rustaweli Prospekt, gegenüber die Oper, die mich, wahrscheinlich wegen der schwarz-weißen Querstreifen, ein bisschen an Italien erinnert.
Blick vom Balkon: Paliaschwili-Operntheater

Nach ein paar Stunden Schlaf und Frühstück im wunderschönen Innenhof-Café eines englischen Buchladens den Rustaweli Prospekt hinunter in Richtung Altstadt.

Vor dem Parlament





Als Analphabet unterwegs: Wenn es Straßenschilder gibt, was nicht überall der Fall, kann man sie nicht lesen. Dasselbe gilt für Busse und Fahrpläne.

Metroeingang
Copyshop
In der Altstadt, die zur Hälfte komplett saniert oder gerade Baustelle ist, tummeln sich einige wenige Touristen. Wir wundern uns über ziemlich europäische Cafépreise, aber die ganze Sanierung muss sich irgendwie lohnen. So wähnt man sich manchmal fast in Prenzlauer Berg, die nächste Ecke erscheint wenig touristisch und aufgehübscht, die Architektur insgesamt sehr uneinheitlich: russische Häuser wie in Kars (Nordosttürkei) neben mitteleuropäischen Gründerzeithäusern und öffentlichen Gebäuden, eine ehemalige Karawanserei neben einem postmodernen Hotelklotz, sowjetische Bauten wie Schulen, Kinos, Kultur- und Jugendzentren neben georgischen Häuser mit den typischen Holzbalkonen bzw. -galerien, dazwischen georgische Kirchen aller Zeitalter.

Am Abend flüchten wir vor Gewitter in ein Café, in dem es nach beharrlichem Nachfragen neben  verschiedenen Exportbieren auch georgisches Bier vom Fass gibt. Unterdessen verwandelt sich die Straße in einen reißenden Strom. Während der Sintflut fällt kurzzeitig der Strom aus und Kerzen werden verteilt. Nach dem Gewitter geht es zum Essen in einen georgisch-ungarischen Pub um die Ecke. Bedröhnt von Michael Jackson nehmen wir unser erstes Essen in Georgien zu uns: Schaschlik.
Später im Hostel sitzt eine englischsprachige Gruppe in der Lounge, d.h. dem spärlich postmodern möblierten Gründerzeitwohnzimmer mit Kronleuchter und Parkett. Die Gruppe besteht aus Englischlehrer/innen aus den USA, GB, Australien und Kanada, die für ein halbes Jahr in verschiedenen Städten Georgiens gearbeitet haben und jetzt ihr letztes Wochenende in Tbilisi feiern. Unser tanzender Wirt, der seit 36 Stunden nicht geschlafen hat, wundert sich, wie eine Gesellschaft, die so langweilig feiert, mit nur einer Flasche Wein auf dem Tisch und ohne Zigaretten oder sonstige Rauchwaren, so laut und ausdauernd sein kann ...

Meine Nachtlektüre bildet einen angenehmen Kontrast zum Hostelgeplänkel: Alexandre Dumas kämpft sich Mitte des 19. Jahrhunderts von Norden durch den "wilden Kaukasus" in Richtung Baku und Tbilisi ...

Ehemalige Karawanserei
"Diese Karawanserei bietet einen merkwürdigen Anblick. Durch die Tore ziehen mit Kamelen, Pferden und Eseln die Vertreter aller Nationen des Orients und des nordöstlichen Europa ein: Türken, Armenier, Perser, Araber, Hindu, Chinesen, Kalmücken, Turkomanen, Tartaren, Tscherkessen, Georgier, Mingrelier, Sibirier. Und jede Nation hat ihr eigenes Gepräge, ihre Tracht, ihre Waffen, ihre Sitten und zumal ihre Kopfbedeckung, die im allgemeinen am längsten der launischen Mode zu widerstehen pflegt."

Alexandre Dumas über Tbilisi in: Gefährliche Reise durch den wilden Kaukasus. 1858-1859. Edition Erdmann: Lenningen 1995, S. 195

Fahren, georgisch

Wir sind nicht die ersten, die sich bisweilen über den georgischen Fahrstil wundern. So schreibt Alexandre Dumas, der Mitte des 19. Jahrhunderts auf seiner Reise durch den Kaukasus unterwegs von Nucha (heute: Şəki/Aserbaidschan) nach Tbilisi ist:
„Wenn ich in die Tiefe hinuntersah und die Entfernung, die uns von der Ebene trennte, mit den Blicken maß, fühlte ich mich bei jeder Biegung des Weges von einem Schauer durchbebt. Unser Kutscher schien wirklich den Teufel im Leibe zu haben; sobald es bergab ging, setzte er seine Pferde in Galopp, so daß alle unsere Kosaken zurückblieben. Diese tolle Bergabfahrt, die zwei Stunden dauern sollte, wurde in fünfzig Minuten zurückgelegt.“

Alexandre Dumas: Gefährliche Reise durch den wilden Kaukasus. 1858-1859. Edition Erdmann: Lenningen 1995, S. 166
John Steinbeck und Robert Capa kommen 1948 anlässlich einer Reportagereise durch die Sowjetunion nach Georgien. Über ihren georgischen Fahrer schreibt Steinbeck:
„Unser Fahrer war, wie üblich, ein ehemaliger Kavallerist, und er fuhr ausgerechnet einen Jeep. [...] Er liebte den Jeep, denn dieser kletterte beinahe senkrecht bergauf, konnte um Ecken flitzen und über Düker springen. Er fuhr in Bäche und verspritzte Wasser und tauchte auf der anderen Seite wieder auf. Er fuhr wie ein Verrückter, er fürchtete niemanden. Immer wieder drängten ihn empörte Fahrer an den Bordstein, und es kam zu heftigen Wortwechseln in georgischer Sprache, und unser Mann lächelte und fuhr davon. Er gewann alle Gefechte. Wir liebten ihn.“
John Steinbeck: Russische Reise. Mit Fotografien von Robert Capa. Büchergilde Gutenberg: Frankfurt/M., Wien, Zürich 2010, S. 204
 Nochmal Steinbeck, in der Nähe von Gori:
„Die Straßen waren schmal und uneben, und an manchen Stellen wurde sie von Bächen durchschnitten. Unser Fahrer jauchzte vor Freude, denn das gefiel ihm. Er fuhr mit halsbrecherischer Geschwindigkeit über die schmalen Straßen, und er beobachtete genau, ob wir Angst bekämen – und wir bekamen Angst. Wir mußten uns mit beiden Händen festhalten, um nicht aus dem Jeep geschleudert zu werden. Er durchpflügte die Bäche so stürmisch, daß sich das Wasser wie ein Katarakt über das ganze Auto ergoß“
Ebd., S. 226f.

(2) Spazieren in Tbilisi

Sonntag in Tbilisi. Pech am georgischen Nationalmuseum: "heute nur mit Einladung". Der Rustaweli-Boulevard ist voll mit Polizei. Nach einer Demo sieht es aber nicht aus. Ein Fest? Eine Parade? Irgendwann fahren Autos von EU-Repräsentanten vorbei, mehr verstehen wir nicht. Also ergeht der Beschluss, nach Mzcheta, der alten Hauptstadt zu fahren. Wieder in die Tiefe, nach Schwefel riechende, feuchte Metro Richtung Hauptbahnhof, von wo wir die Elektritschka (S-Bahn) nehmen wollen, da das Bussystem noch nicht durchschaut. Aber Pech auch am Bahnhof: Die Elektritschka fährt erst in zwei Stunden. Also ein weiterer Stadtspaziergang. Zunächst zum Mardshanischwili-Viertel, was (noch) nicht so vollsaniert ist wie die Innenstadt, trotzdem zahlreiche schöne Häuser und auch massig Baustellen.
Georgisches Kindertheater (!)
Nach dem ersten echten georgischen Essen, mit ebensolcher, also unlesbarer Speisekarte, von der Metrostation Mardshanischwili einen schönen Boulevard entlang in Richtung Fluss, gehen wir über mehrere Brücken hin und her, um schließlich in einer völlig neuen Parkanlage direkt unterhalb des Präsidentenpalasts zu landen. Ein absurd postmodernes Setting, mit Picknicktischen, Spielplätzen, Schachfeldern und einer Fußgängerbrücke mit geschwungenem Dach, das Ganze aus weiß lackiertem Stahl und Glas, das angeblich aus der rheinischen Kleinstadt Wiehl (!) geliefert wurde.
Abanotubani mit Festung
Auf der Brücke drängen sich zahlreiche Hochzeitsgesellschaften, die ihre Hochzeitsfotos vor der Kulisse von Abatunobani, dem alten Bäderviertel, machen, mit drei spektakulären Kirchen und Felsen im Hintergrund. Wieder in der Altstadt stoßen wir zufällig auf die Quelle der Hochzeitswanderungen: eine Kirche, in der gerade geheiratet wird. Die Zeremonie wird von mindestens drei Priestern abgehalten, allerdings ziemlich informell, einschließlich Smalltalk und Handyklingeln, woran sich niemand zu stören scheint. Die Kleidung der Hochzeitsgäste ist festlich, aber nicht gerade traditionell, wie sonst in den Kirchen, die Frauen ohne Kopfbedeckung, auf High Heels und in kurzen Röcken.

(3) Mzcheta – Ungläubige auf Pilgerfahrt

Unsere erste Marschrutka-Fahrt geht am nächsten Tag nach Mzcheta, die frühere georgische Hauptstadt, mehr als 3000 Jahre alt, mittelalterliche Handelsmetropole an der nördlichen Seidenstraße und bis heute religiöses und mythisches Zentrum Georgiens. Die Marschrutka-Station Didube liegt tatsächlich mitten in einem Basar und ist genauso chaotisch. Also aufpassen, dass man nicht in einem Taxi nach Wladikawkas oder sonstwohin landet. Ersteres ist das einzige, was zu entziffern ist, da kyrillisch geschrieben, ansonsten alles in georgischer Schrift. Aber das Analphabetentum nötigt zur Kontaktaufnahme, und mit Fragen kommt man immer weiter.

Nach kurzer Fahrt durch die postsowjetischen Außenbezirke von Tbilisi geht es über eine Brücke in die alte Stadt Mzcheta, die anscheinend vor Kurzem modellhaft restauriert wurde. Im Zentrum die Hauptkirche, umgeben von einer festungshaften großen Mauer, wie eine Stadtbefestigung, aber nur für die Kirche!

Sweti Zchoweli
Festungsanlage der Kirche Sweti Zchoweli

Minatur der Grabeskirche in Jerusalem
Sweti Zchoweli aus dem (4.-) 11. Jahrhundert. In der Kirche, um die sich viele Legenden ranken, die mit der heiligen Nino zu tun haben, gibt es eine Miniaturausgabe der Grabeskirche von Jerusalem, die so hoch ist, dass sie gerade eben in das rechte Seitenschiff passt! Nachbildung eines Pilgerorts für diejenigen, die sich eine Pilgerreise nach Jerusalem nicht leisten können, die aber das georgische Nationalheiligtum aufsuchen.

Auf der Suche nach der Samtawro-Kirche aus dem 4. Jh. landen wir zunächst in einem Klostergarten mit einer winzigen Kapelle, von wo man einen guten Blick auf den gegenüberliegenden Berg mit der Dschwari-Kirche hat – wieder eine Legende um die heilige Nino und außerdem Unesco-Weltkulturerbe.





Kapelle neben Samtawro aus dem frühen 4. Jh.

Neben der Samtawro-Kirche, die wir nach langer Suche doch noch am anderen Ende des Altstadtkerns finden, steht eine winzige Kapelle: der älteste christliche Sakralbau in Georgien, wieder aus der Zeit Ninos.

Die heilige Nino
Das Museum der Stadt, das von der Frühgeschichte der Region erzählt, ist leider geschlossen, also steigen wir ins praktischer Weise nebenan stehende Taxi und jagen auf den Berg mit der Dschwari-Kirche.




Von hier aus überblickt man das ganze Tal mit den 2 Flüssen – Aragwi und Mtkwari (russisch: Kura) – und kann sich vorstellen, wie die Karawanen im Mittelalter hier durchzogen – von Nord nach Süd, vom Schwarzen Meer Richtung Kaspisches Meer, auf der alten Seidenstraße, und von West nach Ost, von Armenien, dem kleinen Kaukasus in Richtung großer Kaukasus.

Hoch über Mzcheta thront Dschwari
Mzcheta von oben

(4) In einem Garten in Mzcheta

Wein und Politik

Zurück in Mzcheta entdecken wir eine Art Café in einem idyllischen Garten mit alten Obstbäumen, in der Mitte ein Brunnen und an der rechten Seite kleine Hütten aus Geflecht mit je einem Tisch drin. Gemütlich und schattig speist man in einer der Hütten und wagt sich nach Fleisch und Auberginen mit Nusspaste an den ersten hausgemachten Weißwein – zunächst gar nicht als Wein aus Trauben identifiziert, da trüb und fruchtig. Nach kurzer Zeit kommt ein russisches Pärchen in den Garten, sie sind auf einem Kurztrip aus Moskau, und völlig begeistert loben und preisen sie Georgien, den Wein, den selbstgemachten Saft.

Als wir uns aus unserer Hütte wagen, eigentlich um zu gehen, laden sie uns zu einer kleinen Weinprobe ein. Es ergibt sich ein sehr nettes Gespräch, hauptsächlich auf englisch, ab und zu ergänzt von launigen Geschichten eines zahnlosen alten Mannes, der u.a. behauptet, er habe sechs Frauen gehabt ... Politisches erfahren wir am Rande auch: Für den Krieg (2008 um Südossetien) bzw. den andauernden Konflikt mit Russland interessiere sich keiner, so die Georgier. Saakaschwili fänden aber alle gut, da er – anscheinend erfolgreich – die Korruption bekämpfe und allgemein für Ordnung sorge. Wirtschaftlich scheint er auch zu punkten. A. trinkt und lobpreist sich in einen gehörigen Rausch, ist äußerst unterhaltsam, wiewohl ständig von seiner Freundin ermahnt, weniger zu trinken und „endlich englisch“ zu lernen. Nachdem die Russen sich überschwänglichst verabschiedet haben, brechen wir schließlich gemeinsam mit dem Taxi, d.h. mit dem Nachbarn der Wirtin, nach Tbilisi auf.

Völkerfreundschaft
„Früher gab es bei uns Völkerfreundschaft. Usbeken, Tadschiken und Aserbaidschaner waren in aller Munde, sogar Osseten. Armenier gab es noch speziell, der Witze wegen. Und Juden natürlich. Tschetschenen gab es, wie mir scheint, noch nicht. Es gab Gerüchte über die vertriebenen Tschetscheno-Inguschen (wie über die Krimtartaren). Aber nur die Georgier haben wir speziell geliebt, ohne Völkerfreundschaft. [...] Heute kommt mir der Verdacht, wir hätten sie dafür geliebt, daß sie keine Russen sind. Nicht wir. Aber wie wir. Aber besser als wir...“ (S. 7)
 Andrej Bitow, Georgisches Album. Auf der Suche nach Heimat. Suhrkamp: Frankfurt/M. 2003, S. 7

(5) Signagi – Der grüne Hügel

Hosteltalk

Nach dem weinseligen Nachmittag in Mzechta beschließen wir den Abend auf dem Balkon des Hostels. Dort kommen gerade ein paar Amerikaner von einem Trip nach Swanetien zurück – 16 Stunden Fahrt von Tbilisi, einmal übernachten und zurück. Wir wundern uns: zwei Tage Marschrutka nonstop, ein paar Stunden durch ein abgelegenes Bergdorf wanken, womöglich im Regen, und dasselbe am nächsten Tag in umgekehrter Richtung ... Was der Spaß daran ist, bleibt offen. Dafür bekommen wir verschiedene Tipps wie: „Cancel Kazbegi and go just to Swaneti“. Oder: „Don’t go to Kacheti“. Begründung: Saison sei dort nur im Herbst, ansonsten langweilig. Oder: Den besten Wein gebe es in Westgeorgien, nicht in Kachetien. Wir befolgen keinen dieser Ratschläge und fahren am nächsten Tag nach Kachetien.

Nach Signagi

On the road
Nach den Randbezirken von Tbilisi wird die Landschaft immer hügeliger und grüner. Nennenswerte Städte kreuzt man nicht. Die Schilder sind größtensteils zweisprachig, georgisch und englisch. In Signagi angekommen, sind die einzigen offensichtlichen Übernachtungsgäste, was unweigerlich diverse Zimmerangebote auf der Straße nach sich führt. Wir lehnen alle ab und fragen nach einer Adresse. Rätselhafter Weise kommt uns Nana, unsere zukünftige Gastgeberin, schon auf dem Weg entgegen, offenbar bereits über unser Kommen informiert. So beziehen wir ein super Zimmer in einem wunderschönen alten Haus, stilvoll eingerichtet mit alten Möbeln. Nette Leute, alle sprechen englisch, geben Tipps, die wirklich gut sind, es gibt Kaffee und Tee.

Rundgang durch die komplett sanierte Innenstadt und erster Blick auf den großen Kaukasus. Aussicht von einem Turm der Stadtmauer: auf der einen Seite grüne Hügel, überall Wald, auf der anderen Seite ein breites Tal, eine Ebene, die sich bis nach Aserbaidschan erstreckt, dahinter der Kaukasus, Dagestan. Oben hohe Berge, viele mit Schnee. Das Gebirge erscheint spektakulär, da es sich wie eine Wand steil und abrupt erhebt, zumindest sieht es von hier so aus, dass es gar kein Vorgebirge gibt. In der Stadt gibt ein sehr schönes, nagelneues Museum mit einer Abteilung zur kachetischen Geschichte – es gab hier, parallel zu Mesopotamien, eine frühe Hochkultur – und einer Malereiabteilung: Ein Saal ist dem berühmten georgischen Maler Pirosmani gewidmet, ein Saal der „Westeuropäischen Malerei“, und hier staunt man nicht schlecht: Da hängen Bilder u.a. von Tizian einfach so rum, mehr oder weniger unbewacht, unglaublich! Auch das Museum hat wieder eine spektakuläre Aussicht auf den Kaukasus.

Für den nächsten Tag organisiert unsere Gastgeberin uns ein Taxi nach Dawit Garedscha, einem frühchristlichen Kloster und religiösen Zentrum im äußersten Südwesten Georgiens, von Signagi ca. 70-80 km entfernt, was übersetzt zwei Stunden Autofahrt bedeutet.