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Sonntag, 19. Februar 2012

(15) Na Marschrutkje – Von Tbilisi nach Jerewan

Nach kurzer Besichtigung des georgischen Nationalmuseums mit zahlreichen Goldschätzen aus dem sagenhaften Kolchis zum Bahnhof. Die Marschrutka nach Jerewan steht schon bereit und sieht erstmal geräumig aus, das heißt: nicht komplett mit Gepäck und Tüten vollgestopft. Doch das will nichts sagen. Kurz vor der Abfahrt wird der Kleinbus wie üblich bis in die letzte Ecke mit Fahrgästen, Gepäckstücken und Waren beladen.

Der Cast

Ein schöner Beruf: Marschrutka-Fahrer
Unsere Mitfahrer sind zwei armenische Kurden, ein schweigsamer Iraner, ein großer stoischer Russe neben uns, eingekeilt zwischen den Kleinkoffern des Iraners, der aus Platzgründen nach hinten umziehen musste, vorne eine Armenierin und direkt neben dem Fahrer eine schrille Georgierin, die während der ganzen Fahrt alle nur erdenklichen Flirtregister zieht: die Marschrutka-Braut. Während der halbstündigen Pause an einem kleinen Imbiss in den nordarmenischen Bergen schafft sie es sogar, sich komplett umzuziehen – eine unglaubliche Gestalt, die von keiner Castingagentur besetzt werden könnte! Soundtrack der Fahrt: russische Schlager aus den 80-ern, die wir abends, nach sechs Stunden Fahrt, schon mitsingen können.

Grenze und Sprachen

An der Grenze in Sadachlo läuft alles seinen bürokratischen Gang, weder besonders streng noch besonders nachlässig. Anscheinend hat man sich daran gewöhnt, hier eine Grenze zu passieren, Pässe vorzuzeigen, abzustempeln, Visa vorzuzeigen oder zu kaufen, Zoll zu bezahlen - alles, was es hier früher nicht gab und was man in Westeuropa schon längst vergessen hat. Man steigt aus und geht zu Fuß in brütender Hitze von einem Grenzposten zum anderen, über eine Brücke, und schon wird man wieder von völlig unbekannten Schriftzeichen begrüßt. Aber wie in Georgien sind auch hier fast alle Straßenschilder zweisprachig (armenisch – englisch), nur fällt auf, dass überall auch russische Schriften und Schilder zu sehen sind, anders als in Georgien nicht Überbleibsel aus vergangenen Zeiten, sondern anscheinend auch neueren Datums. Die Grenze überschreiten wir zusammen mit einem Schaf, das mit zusammengebundenen Füßen durch die Personenkontrolle getragen wird. Ab jetzt ist die allgemeine Verkehrssprache Russisch, auch unter Georgiern und Armeniern. Der Marschrutka-Fahrer hat zwei Handys, auf dem einen, mit armenischer Sim-Karte, spricht er russisch, auf dem anderen, mit georgischer Sim, georgisch.

Durch Armenien

Die Landschaft in der Nähe der Grenze ist hügelig, es gibt Wein, viele Blumen. Dann geht es hoch, alles grün, immer mehr Nadelbäume, überall Wasser, tief einschneidende Schluchten, es geht hoch und runter. Die Fahrt wie immer bei offenem Fenster, drinnen Backofen, von draußen ein ziemlich kalter Fahrtwind. Hinter unserem Rastort in einem der zahlreichen grünen Täler folgt eine triste Industriestadt auf die nächste, die größte ist Vanadzor. Armut ist hier mit Händen greifbar. Die Kurden erklären dem Iraner – auf Russisch – die Situation der postsowjetischen Deindustrialisierung. Uns zeigen sie ein von Frankreich gebautes Krankenhaus.

Zwischenstopp am Aragaz
Langsam geht es wieder höher, die Berge werden kahler, die Straße führt durch eine Hochebene, vorbei am Berg Aragaz. Sehr schön, überall Steine auf den Almwiesen, ansonsten erscheint alles leer, dann plötzlich wieder ein Dorf, auch karg, arm. Kurz bevor es in die Ebene von Jerewan geht, noch ein Stop bei einer Bäckerei, wo zahllose verschiedene Brote gebacken werden. Alle kaufen Brot und Chatschapuri, und es ist köstlich. Dann auf ins Tal. Die Kurden machen uns auf das Atomkraftwerk in der Ararat-Ebene aufmerksam, in dessen Nähe sie wohnen. Wie in "Fukushima", so die Kurden, auch die Ararat-Ebene ist ein Erdbebengebiet ...

Ankunft in Jerewan
Ausblick Ararat

Die Außenbezirke von Jerewan tauchen auf mit dem Ararat im Hintergrund. Der Ararat, armenisch: Masis, ist mehr als ein Berg, er ist das armenische Nationalsymbol. In Jerewan ist der Ararat überall sichtbar. Er scheint allgegenwärtig, ist aber, wegen der geschlossenen Grenzen, von hier aus nicht erreichbar ...

Die Fahrt in die Stadt zieht sich hin, dann endlich Ankunft vor dem riesigen imposanten Hauptbahnhof. Erster Eindruck: Mit dieser Stadt hat man einmal Großes vorgehabt. Jerewan – eine geplante Stadt aus hauptsächlich rosa Tuffstein, riesige Plätze, die Bauepoche der 1920-er/30-er Jahre hat den Architekturstil geprägt. Die Einheitlichkeit des Baustils und die Monumentalität von Gebäuden und Plätzen sind einzigartig. Die Stadt wirkt auf diesen ersten Blick wie ein Manifest der klassischen Moderne. Aber sogar die später gebauten großen Wohnblocks und andere mehrstöckige Häuser sind aus diesem rosa Tuffstein.